Protokoll-Nr. 169
Osterbotschaft des Ökumenischen Patriarchen
Bartholomaios,
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch
allem Volk der Kirche Gnade, Friede und Erbarmen
von Christus, dem in Herrlichkeit auferstandenen Erlöser
Nachdem wir die Rennbahn der asketischen Kämpfe der heiligen Großen Fastenzeit durchlaufen und das ehrwürdige Leiden des Herrn in Ergriffenheit gefeiert haben, besingen und preisen wir jetzt, erfüllt mit dem Licht Seiner leuchtenden Auferstehung, Seinen überhimmlischen Namen, und rufen das die ganze Welt erfreuende „Christus ist auferstanden!“ aus.
Auferstehung bedeutet für die Orthodoxen den Mittelpunkt ihres Glaubens, ihrer Frömmigkeit, ihrer Kultur und ihrer Hoffnung. Das Leben der Kirche in seiner gottmenschlichen sakramentalen und liturgischen, in seiner geistlichen, moralischen und pastoralen Ausprägung und in dem guten Zeugnis für die in Christus kommende Gnade und die erwartete „allgemeine Auferstehung“ verwirklicht und reflektiert die Vernichtung der Macht des Todes durch das Kreuz und die Auferstehung unseres Erlösers und die Befreiung des Menschen aus „der Knechtschaft des Feindes“. Von der Auferstehung legen auch die Heiligen Zeugnis ab, die Märtyrer für den Glauben, ebenso das Dogma, das Ethos, die Kirchenordnung und die Liturgie der Kirche, die Gotteshäuser, die Klöster, unsere ehrwürdigen Pilgerstätten, der fromme Eifer des Klerus, die voraussetzungslose Hingabe des Habens und des Seins der Mönche an Christus, die orthodoxe Gesinnung der Gläubigen und die eschatologische Ausrichtung des ganzen kirchlichen Lebens.
Die Feier des Osterfestes bedeutet den Orthodoxen keinen vorübergehenden Rückzug aus der weltlichen Realität und ihren Widersprüchen, sondern eine Verdeutlichung des unerschütterlichen Glaubens, dass der Erlöser des Menschengeschlechts, der durch den Tod den Tod zertreten hat, der Herr der Geschichte ist, der Gott der Liebe, der stets „mit uns“ und „für uns“ ist. Das Osterfest ist die erlebte Gewissheit, dass Christus die befreiende Wahrheit ist, die Grundlage, der Dreh- und Angelpunkt und schließlich der Horizont unserer Existenz. „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5) Kein einziger Umstand, „weder Trübsal noch Bedrängnis noch Verfolgung noch Hunger noch Blöße noch Gefahr noch Schwert“ (Röm 8,35), kann uns Gläubige von der Liebe Christi trennen. Diese unerschütterliche Überzeugung beseelt und stärkt unsere Schaffenskraft und den Willen, uns in der Welt als „Gottes Mitarbeiter“ (1 Kor 3,9) zu erweisen. Sie stellt sicher, dass es auch angesichts unüberwindlicher Hindernisse und Ausweglosigkeit dort, wo nach menschlichem Ermessen keine Lösung möglich erscheint, Hoffnung und Perspektive gibt. „Alles vermag ich in Christus, in dem, der mich stärkt“ (Phil 4,13). In Christus, dem Auferstandenen, wissen wir, dass das Böse in all seinen Formen nicht das letzte Wort in der Geschichte der Menschen hat.
Erfüllt von Dankbarkeit und Freude über die Ehre und die höchste Würde, mit der der Herr der Herrlichkeit den Menschen ausgezeichnet hat, sind wir gleichzeitig auch entsetzt über die vielfältige Gewalt, die soziale Ungerechtigkeit und die Missachtung der Menschenrechte in unserer Zeit. „Die freudige Kunde von der Auferstehung“ und der Hymnus der Auferstehung „Christus ist auferstanden“ erklingen zur gleichen Zeit mit dem Lärm der Waffen, mit dem Schrei der Verzweiflung der unschuldigen Opfer der kriegerischen Gewalt und der Klage der Flüchtlinge, unter denen sich zahllose unschuldige Kinder befinden. Bei unserem vor kurzem erfolgten Besuch in Polen, wohin die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine geflohen sind, haben wir uns persönlich von den durch diesen Krieg entstandenen Problemen überzeugt. Wir leiden mit dem frommen, mutigen ukrainischen Volk, das ein schweres Kreuz trägt. Wir beten und kämpfen für den Frieden und die Gerechtigkeit sowie für diejenigen, die beides entbehren. Es ist für uns Christen unvorstellbar, angesichts dieser Verhöhnung der Menschenwürde zu schweigen. Neben den Opfern dieser Kämpfe ist „der große Verlierer“ der Kriege die Menschheit als Ganzes, die es in ihrer langen Geschichte nicht vermocht hat, den Krieg abzuschaffen. Der Krieg löst nicht nur kein Problem, er verursacht vielmehr neue und noch größere Probleme. Er sät Zwietracht und Hass und vergrößert die Kluft zwischen den Völkern. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Menschheit ohne Kriege und Gewalt leben kann.
Die Kirche Christi wirkt von Natur als Friedensstifterin. Sie betet nicht nur um den „Frieden von oben“ und den „Frieden der ganzen Welt“, sondern betont auch, wie wichtig es ist, dass die Menschen sich für den Frieden einsetzen. „Frieden stiften“ ist das, was einen Christen vor allem auszeichnet. Christus preist die Friedensstifter selig, deren Einsatz Gott in der Welt greifbar und gegenwärtig werden lässt und den Frieden abbildet, „der jeden Verstand übersteigt“ (Phil 4,7) – dies geschieht in der „neuen Schöpfung“, in der gepriesenen Herrschaft des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wie es in der Veröffentlichung des Ökumenischen Patriarchates „Für das Leben der Welt – Das soziale Ethos der Orthodoxen Kirche“ heißt, ehrt die Kirche „die Märtyrer, die ihr Leben für den Frieden hingegeben haben, als Zeugen für die Kraft der Liebe, für die Schönheit der Schöpfung in ihrer ursprünglichen und vollendeten Gestalt und für das Ideal einer menschlichen Lebensweise, wie Christus sie im Laufe Seines irdischen Dienstes gezeigt hat“ (§ 44).
Ostern ist die Feier der Freiheit, der Freude und des Friedens. Indem wir in Frömmigkeit die Auferstehung Christi besingen und in ihr auch unser eigenes Mit-Auferstehen erleben, uns gläubig vor dem großen Mysterium der göttlichen Heilsökonomie verneigen und dem „gemeinsamen Festtag für alle“ teilnehmen, entbieten wir von diesem stets des Kreuzes und der Auferstehung gewärtigen ehrwürdigen Bischofssitz der Kirche von Konstantinopel Euch allen, ehrwürdige Brüder und geliebte Kinder, den von Herzen kommenden österlichen Gruß und rufen auf Euch die Gnade und das Erbarmen dessen herab, der den Hades getötet und uns das ewige Leben geschenkt hat – die Gnade und das Erbarmen Christi, unseres Gottes.
Phanar, Ostern 2022
Bartholomaios von Konstantinopel
Euer aller inständiger Fürbitter bei Christus, dem Auferstandenen